Internationaler Workshop
- 08.-10. Juni 2023
- Universität Regensburg
Veranstalter
The Gendered Power System in the Catholic Church and its Impact on Women in Religious Communities
The Gendered Power System in the Catholic Church and its Impact on Women in Religious Communities – Transdisziplinärer und internationaler DFG-Workshop an der Universität Regensburg
Koordiniert vom Team der Professur für Pastoraltheologie der Universität Regensburg um Prof.in Ute Leimgruber sowie von Prof.in Hildegund Keul, Leiterin des DFG-Projekts Verwundbarkeiten an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, fand vom 08. bis 10.06. in den Räumen der Universität Regensburg ein Fachgespräch zu den geschlechtsspezifischen Faktoren im Machtsystem der katholischen Kirche statt. Besonders im Fokus standen die Auswirkungen dieser Faktoren auf Ordensfrauen und weibliche Angehörige religiöser Gemeinschaften.
Prof.in Dr. Kathleen McPhillips von der University of Newcastle (Australien) eröffnete den Workshop mit ihrem Vortrag zu spezifischen Mechanismen geschlechtsspezifischer Gewalt im Kontext der katholischen Kirche. Im Kontext der Frage nach der Entstehung geschlechtsspezifischer Formen von Gewalt beschrieb McPhillips die katholische Kirche als Organisation, in der eine extreme Fülle an Macht in den Händen sehr weniger, ausschließlich männlicher Mitglieder dieser Organisation konzentriert ist. McPhillips betonte: „Es war und ist unausweichlich, dass innerhalb dieses Systems Gewalt verübt wird.“ McPhillips verdeutlichte dies am Beispiel der spezifischen Kontextbedingungen, innerhalb derer weibliche Ordensfrauen im Australien des 20. Jhd. sowohl Betroffene als auch Täterinnen von körperlichem, emotionalem und sexuellen Missbrauch wurden. So schränkte die extreme Abhängigkeit der Ordensfrauen vom zuständigen Ortsbischof ihre Wirkmächtigkeit im Aufdecken von Missbrauchstaten selbst dort erheblich ein, wo die Ordensfrauen – etwa wegen ihrer Position als Schulleiterinnen oder Ordensobere – bereichsspezifisch große Macht besaßen.
Prof.in Dr. Katharina Karl von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sprach über die Bedingungen von Empowerment und Handlungsfähigkeit am Beispiel junger Frauen in Buenos Aires. In den biographischen Interviews mit den jungen Frauen ließen sich laut Karl jeweils zentrale Erlebnisse von Vulnerabilität und Empowerment identifizieren, darunter etwa Wohnungslosigkeit, häusliche Gewalt und die Erfahrung von Rassismus auf der einen und die innere Freiheit, nein zu sagen, die Erfahrung von Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die eigene Berufswahl und die Unterstützung durch soziale Bezugssysteme auf der anderen Seite. Karl betonte, dass sich das Erleben von Empowerment in internale und externe Faktoren differenzieren lasse. Externe Faktoren wie ein positives Erleben von Gemeinschaft, das Erfahren von Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung und Anerkennung seien aber in hohem Maße abhängig von den vorherrschenden Machtsystemen und lägen deshalb in der systemischen Verantwortung all derer mit Gestaltungsmacht innerhalb des Systems.
Dr. Doris Reisinger von der Goethe-Universität Frankfurt a.M. beschloss den ersten Workshoptag mit ihrem Vortrag über die Darstellung und Wahrnehmung des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen. Sie konstatierte die Gleichzeitigkeit von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Themas. Während die kirchengeschichtliche Forschung, Theologie und auch die Missbrauchsstudien der deutschen Bistümer dem Thema kaum Aufmerksamkeit schenken, wird der sexuelle Missbrauch von Ordensfrauen in (erotischer) Literatur, der Boulevard-Presse, aber auch in Gerichtsverfahren und Selbstzeugnissen von Betroffenen durchaus thematisiert. Reisinger zeigte an mehreren Beispielen, wie die Möglichkeiten betroffener Ordensfrauen die Geschichte ihres Missbrauchs zu erzählen vielfach eingeschränkt wurden und werden. Zum einen durch die Macht von Klerikern und ihrem Interesse am Aufrecht-Erhalten eines Idealbildes weiblichen monastischen Lebens. Zum anderen durch den Einsatz des sexuellen Missbrauchs von Ordensfrauen etwa als Mittel zur Unterhaltung, der Befriedigung voyeuristischen Interesses oder durch das Framing als Werkzeug anti-katholischer Propaganda. Reisinger betonte: Das Interesse Dritter an den Berichten von Missbrauch an Ordensfrauen hat das Potential die Stimmen der Ordensfrauen zum Schweigen zu bringen. Forschung und Öffentlichkeit sollten ein dringendes Interesse daran haben, den Originalstimmen der Betroffenen so nah wie möglich zu kommen.
Dr. Tracy McEwan von der University of Newcastle (Australien) stellte das Fallbeispiel der Sisters of Charity vor, einer Gemeinschaft irischer Ordensfrauen, die 1838 in Australien mit dem Bau von Schulen, Waisenhäusern und Krankenhäusern begannen. McEwan zeigte, in welch massiven geschlechtsspezifischen Abhängigkeiten sich die Ordensfrauen bereits kurz nach ihrer Ankunft befanden, als der Erzbischof von Sydney die noch kleine Gemeinschaft in Australien versuchte (kirchen-)rechtlich von der Kongregation in Irland abzutrennen. McEwan beleuchtete auch die Ambiguität, in der sich die Ordensfrauen als Teil eines klerikalistischen Systems sowohl als Betroffene von geschlechtsspezifischer Machtungleichheit als auch als Täterinnen befanden.
Dr. Rocio Figueroa vom Good Shepherd College in Auckland (Neuseeland) präsentierte den Teilnehmerinnen des Fachgesprächs einen Workshop, der im vergangenen Januar in Nairobi durchgeführt worden war. An diesem Workshop hatten 30 Ordensfrauen verschiedener Ordensgemeinschaften und verschiedener Afrikanischer Länder teilgenommen. Ziel des Workshops war es, den sexuellen und spirituellen Missbrauch von Ordensfrauen in Afrika zu thematisieren. Figueroa berichtete von den sorgfältigen Planungen, die nötig waren, um den Workshop überhaupt durchführen zu können. Um es den Teilnehmerinnen zu ermöglichen, das Tabu rund um das Thema sexueller Missbrauch brechen zu können, war der erste Teil des Workshops auf Frage gerichtet, wie die Ordensfrauen die Überlebenden von sexuellem Missbrauch unterstützen und begleiten können. Erst im zweiten Teil wurde mit dem Thema spiritueller Missbrauch der Fokus auf die Teilnehmerinnen als mögliche Betroffene gelegt. Obwohl seit der Durchführung des Workshops in Nairobi erst fünf Monate vergangen waren, berichtete Figueroa bereits von ersten Multiplikationserfolgen: Weil die Materialien, mit denen das Team während des Workshops gearbeitet hatte, ohne Zugriffsbeschränkungen im Internet zugänglich waren, haben bereits erste Ordensfrauen den Workshop in ihren eigenen Gemeinschaften durchgeführt und das Thema des spirituellen und sexuellen Missbrauchs mit Hilfe des Toolkit Accompanying Survivors of Sexual Harm und der Video-Reihe Red Flags in Religious Life zur Sprache gebracht. Figueroa betonte: “The only potential for change is through the women themselves.”
Die letzte Referentin des Vormittags, Dr. Barbara Haslbeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Regensburg, gab wertvolle Einblicke in ihr laufendes Forschungsprojekt zu Ordensfrauen, die als Erwachsene und im Ordensleben sexuell missbraucht worden sind. Sie betonte die bislang äußert dürftige Forschungslage zu Täterinnen und sprach von einer „geschlechtsspezifischen Einseitigkeit der bisherigen Erforschung von Missbrauch in der (katholischen) Kirche. Bisher sind Frauen sowohl als Täterinnen als auch als Überlebende vernachlässigt worden.“
Der Nachmittag des zweiten Workshoptages wurde von Magdalena Hürten, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Regensburg, eröffnet. Hürten präsentierte zentrale Ergebnisse ihres kurz vor dem Abschluss stehenden Promotionsprojekts, das sich mit den Möglichkeitsbedingungen von Wissensproduktion im Kontext Missbrauch beschäftigt. Dazu untersucht sie exemplarisch die Gründungsgeschichte der St. Franziskusschwestern Vierzehnheiligen (1890–1921), in der es Missbrauchsfälle an Ordensfrauen und weiteren erwachsenen Frauen durch den Gründer gab. Hürten arbeitet in ihrer Dissertation mit dem Konzept der epistemischen Ungerechtigkeit (epistemic injustice) von Miranda Fricker, das davon ausgeht, das u.a. geschlechtsspezifische Normen die Weitergabe und Bildung von Wissen – auch über sexuellen Missbrauch – beeinflussen. So wird etwa Zeug:innen Glaubwürdigkeit auch in Abhängigkeit von ihrem Geschlecht zugesprochen (testimonial injustice).
Dr. Regina Heyder, Referentin am theologisch-pastoralen Institut Mainz, systematisierte Beobachtungen aus aktuellen Missbrauchsstudien unter der Perspektive der vermessenen Körper. In zahlreichen Zeugnissen Überlebender sexuellen Missbrauchs durch Kleriker finden sich Beschreibungen von Missbrauchstaten, in denen die Überlebenden von einem Abmessen und Vermessen ihrer Körper durch die Täter sprechen. So wird in der Logik des Täters der Körper der Betroffenen z.B. vom Täter in Bereiche eingeteilt, die nicht berührt werden dürfen, und in solche, in denen Berührungen möglich sind, ohne dass die Keuschheit der Betroffenen und das Zölibatsversprechen des Täters durch die sexuellen Handlungen berührt werden. Gleichzeitig ist auf der Seite der Täter in der verschleiernden Deutung der Missbrauchstat als Liebeshandeln Gottes beinahe ein Verschwinden des Körpers des Täters zu beobachten. Er tritt in dieser Deutung ganz hinter dem vermeintlichen Handeln Gottes zurück.
Johanna Beck, Literaturwissenschaftlerin und Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz, gab zum Abschluss des zweiten Konferenztages einen Einblick in ihre eigene Geschichte des sexuellen und spirituellen Missbrauchs innerhalb der Katholischen Pfadfinderschaft Europas (KPE). Neben den systemischen Faktoren innerhalb der KPE, die den Missbrauch ermöglichten und begünstigten, betonte Beck auch das erhebliche Retraumatisierungspotential, das die Arbeit der Betroffenen in den Betroffenenbeiräten der Katholischen Kirche derzeit kennzeichnet.
Prof.in Dr. Hildegund Keul, Leiterin des DFG-Forschungsprojekts „Verwundbarkeiten“ an der Universität Würzburg, eröffnete den dritten und letzten Tag des Workshops mit einem Referat zu Vulnerabilität, Resilienz und Vulneranz als zentralen Kategorien zur Beschreibung und Analyse derjenigen Muster (Hidden Patterns), die sich in den zahllosen dokumentierten Fällen des spirituellen und sexuellen Missbrauchs erwachsener Frauen erkennen lassen. Keul stellte fest, dass die Debatte um Vulnerabilität (Verletzlichkeit) im Kontext des sexuellen Missbrauchs simplifizierend und einseitig auf die Vulnerabilität der Überlebenden verengt geführt werde. Die potenziell vulnerante (d.h. zu Gewalt bereite) Vulnerabilität religiöser Gemeinschaften, die sich etwa in der aus Angst vor Verwundung entstehenden Vertuschung von Missbrauch zeige, werde demgegenüber weit weniger wahrgenommen. Keul betonte, dass Missbrauch nicht allein in der Binarität von Vulnerabilität und Resilienz untersucht werden könne. Weil sexueller und spiritueller Missbrauch komplexe, sich ständig verändernde Dynamiken besitzt, muss er mit einem komplexen Modell analysiert werden, das auch die Vulneranz von Personen und Systemen bedenkt.
Der Workshop schloss mit einer reflektierenden Einheit, in der wichtige Eindrücke der vergangenen drei Tage geteilt, weiterführende Forschungsfragen eruiert und wichtige Vorhaben für die Zukunft besprochen wurden. Viele Teilnehmerinnen betonten den hohen Wert der internationalen Vernetzung für ein Forschungsgebiet wie das des sexuellen und spirituellen Missbrauchs an Frauen. Dabei steht zum einen die Vernetzung innerhalb der Forschungscommunity und mit den Überlebenden sexuellen und spirituellen Missbrauchs im Sinne des gegenseitigen Empowerments und der ethischen Reflexion des eigenen Forschens im Mittelpunkt. Zum anderen aber resümierten die Teilnehmerinnen: Die Hidden Patterns, die sich durch den Missbrauch und die Vertuschung des Missbrauchs an erwachsenen Frauen ziehen, beschränken sich nicht auf Deutschland, sondern sind ein internationales Phänomen. Als solches müssen sie auch in internationalen Kooperationen beschrieben, bearbeitet und schließlich verändert werden.