Missbrauchsmuster: Hidden patterns of abuse
An der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg arbeiten seit einiger Zeit Forscherinnen zu „Missbrauch an erwachsenen Frauen“ – ein Phänomen, das in der Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit erhält und dennoch viel häufiger vorkommt als angenommen. Noch immer wird behauptet, der Missbrauch in der katholischen Kirche würde vor allem Kinder, Jugendliche und Schutzbedürftige betreffen, und wenn Frauen als Erwachsene geschädigt worden seien, seien es höchstens Einzelfälle. Erwachsene Opfer werden oft nicht als solche wahrgenommen, sie sind unsichtbar. Woran liegt diese Unsichtbarkeit? Ein Grund sind Prozesse kirchlicher und theologischer Wissensproduktion: Was wissen wir über Missbrauch, und was wollen wir (nicht) wissen? Wie entsteht Wissen über Missbrauch? Und wie wird darüber kommuniziert? Wenn über Missbrauch und die davon Betroffenen gesprochen wird, verbergen sich darin immer Muster, die Menschen und ihre Lebensbedingungen zu betrachten, ihre Verletzbarkeiten, Beziehungen und ihre Rollen in Kirche und Welt. In unseren Forschungen identifizieren wir solche Muster, die unhinterfragt gelten und in Theologien, Geschlechterstereotypen oder kulturellen Gewohnheiten wirken. Unsere Forschung ist eine Tiefenbohrung nach den „blinden Normen“ und „verborgenen Mustern“, nach den hidden patterns of abuse, die es aufzudecken gilt.
Für die Opfer bedeutet die Unsichtbarkeit ein Doppeltes: Im breiten Diskurs über Missbrauch und damit auch im Blick auf Aufdeckung und Anerkennungsleistungen wird ihnen abgesprochen, überhaupt Opfer von Missbrauch werden zu können („sie war doch erwachsen“); und da, wo Missbrauch aufgearbeitet und erforscht wird, ist die Perspektive meistens auf Minderjährige gerichtet (z.B. in allen bisher veröffentlichten Gutachten der Bistümer: Das Alter ist meist alleiniges Ausschlusskriterium, ob sexuelle Handlungen weiter nachverfolgt werden oder nicht). In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Frauen von der Unsichtbarkeit und dem erlittenen Missbrauch erzählt. Und hier wird eine zweite Ebene von Mustern offenkundig, die durch unsere Forschung ans Licht geholt wird. Die Täter*innen gehen oft vergleichbar vor; sie begründen ihre Taten häufig gleich, z.B. wird spiritueller Missbrauch benutzt, um Frauen sexuell verfügbar zu machen („das ist die Heilung, die dir mit Gottes Hilfe zuteil wird“). Es ist erschütternd, wie sehr sich viele Fälle ähneln. Auch das ist weiter zu erforschen. Auch das sind hidden patterns of abuse.
Wir suchen in unserer Forschung nach den verborgenen Missbrauchsmustern: Die bekannten Fälle sind keine Einzelfälle. Gleichzeitig wertschätzen wir die Betroffenen in all ihrer Individualität: Es gibt keine Opferstereotypen. Auch deswegen ist Forschung darauf angewiesen, dass Missbrauchserfahrungen erzählt werden. Unsere Forschung hat einen klaren Standpunkt. Wir hören den Betroffenen zu, wir glauben ihnen, wir schenken ihnen von Anfang an Vertrauen und ermöglichen so einen Raum, in dem sie selbst die Worte finden können, damit die Gewalt, der Missbrauch, die Ausbeutung sagbar werden. Missbrauchserfahrungen können dann zur Sprache gebracht und aufgeklärt werden, wenn nicht länger das Ansehen der Institution, sondern die Solidarität mit den Opfern handlungsleitend ist; wenn Betroffene selbst sprechen und weitere Betroffene dazu ermutigen. Die wissenschaftliche Herausforderung dabei ist, dies theologisch und praxeologisch so zu fassen, dass die Muster deutlich werden und nicht erneute blinde Flecken entstehen bzw. dass die hidden patterns nicht unter veränderten Vorzeichen fortgesetzt werden. Dafür stehen wir in dauerndem engen wissenschaftlichen Austausch untereinander und mit den Betroffenen.