Reporting Clergy Sexual Misconduct against Adults to Roman Catholic Church Authorities
Reporting Clergy Sexual Misconduct Against Adults to Roman Catholic Church Authorities: An Analysis of Survivor Perspectives
Kurzrezension
Stephen Edward de Weger reichte 2020 eine Dissertation ein, die einen wichtigen Aspekt des Missbrauchsgeschehens beleuchtet, der häufig vergessen wird, weil er sich erst abspielt, wenn die eigentlichen Missbrauchstaten (teilweise weit) in der Vergangenheit liegen: Es geht um das Sprechen der Betroffenen über Missbrauch bzw. in de Wegers Dissertation konkreter, um die Anzeige von Missbrauchstaten gegenüber kirchlichen Behörden. De Weger erkennt das Sprechen über den Missbrauch als eine zweite große Quelle von Leid neben dem eigentlichen Missbrauch an. Denn die Reaktionen auf das Sprechen können einen erneuten Vertrauensbruch darstellen, der sich nicht wie bei den Missbrauchshandlungen nur auf eine Einzelperson (den Täter oder die Täterin) bezieht, sondern auf das ganze System der katholischen Kirche. Um diese Erfahrungen und die Reaktionen der Kirchen genauer zu untersuchen, führte de Weger Interviews mit sieben Betroffenen und erhielt von zwei weiteren Betroffenen eine schriftliche Erläuterung ihrer Erfahrungen. Sechs der Betroffenen waren Frauen, zwei Männer.
Zur Auswertung der Berichte zieht de Weger Anson Shupes Theorie der „Clergy Malfeasance“ heran, die auf der Annahme beruht, dass man konkrete Neutralisierungsstrategien ausmachen kann, mit denen Täter*innen ihre Taten zu normalisieren versuchen. Auf Grundlage der Berichte von Betroffenen, die de Weger erhoben hatte, entwickelte er Shupes Modell weiter. Er beschreibt sechs Taktiken der Neutralisierung, die jeweils in unterschiedlichen Modi auftreten können. Unabhängig davon, ob man de Wegers Klassifikation im Einzelnen folgt und ob es sich hier tatsächlich um bewusste Neutralisierungsstrategien handelt, ist das Modell hilfreich, um typische Mechanismen und Handlungsweisen im Umgang mit Betroffenen zu erkennen, die eine offizielle und öffentliche Anerkennung des Leids der Betroffenen verhindern – ja ihre Erfahrungen oftmals gröblich missachten.
De Weger macht zudem anhand bisheriger Forschungsbeiträge und verschiedener kirchlicher Dokumente auf das Fehlen einer einheitlichen Definition von Missbrauch an erwachsenen Personen als großes epistemisches Defizit aufmerksam. Eine solche Definition wäre jedoch unerlässlich, um Betroffenen die Deutung ihrer Erfahrung als Missbrauch zu ermöglichen und die Anerkennung von kirchlicher Seite zu befördern. Bestehende kirchliche Definitionen, die den Missbrauch vulnerabler Erwachsener thematisieren, gingen nicht weit genug, da sie die „positionale Vulnerabilität“ der Betroffenen nicht berücksichtige. Gemeint ist das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis, das mit Seelsorgesetting einhergeht und das es Täter*innen in der Rolle als Seelsorger*innen ermöglicht, persönliche Vulnerabilitäten (persönliche Krisen und negative Erfahrungen) ihres Gegenübers auszunutzen. Entscheidend sei mit de Weger demnach der Missbrauch der pastoralen Machtverhältnisse (vgl. 59). Erst eine Definition, die dies zum entscheidenden Kriterium macht, entbinde die Betroffenen jeglicher Verantwortung für die Tat und verorte sie klar bei den Täter*innen (vgl. 61).
De Weger macht mit seiner Dissertation auf das große Verletzungspotential aufmerksam, das in Prozessen zur Anerkennung von Missbrauch durch kirchliche Behörden steckt. Er deckt kirchliche Reaktionen auf, die Betroffene zum Schweigen bringen und dekonstruiert sie als Strategien, die in erster Linie dem Institutionenschutz und der Abwehr von Betroffenen dienen. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag, um die Erfahrungen von Betroffenen in Verfahren zur Anerkennung des Missbrauchs sichtbar zu machen und kirchliche Aufarbeitungsbestrebungen in dieser Hinsicht zu überprüfen und zu kritisieren.