Skip to content
FORSCHEN –– LITERATUR

Erzählen als Widerstand

Barbara Haslbeck, Regina Heyder, Ute Leimgruber, Dorothee Sandherr-Klemp (Hg.)
 | 
2020

Erzählen als Widerstand. Berichte über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche

Aschendorff Verlag
Sammelband

ISBN: 9783402247426
Zitationsweise: Haslbeck, Barbara et al. (Hg.), Erzählen als Widerstand. Berichte über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche, Münster 2020.
Kurzrezension

Zum Tag gegen Gewalt gegen Frauen im Jahr 2020 wurde das Buch „Erzählen als Widerstand“ veröffentlicht, in dem 23 Frauen von spirituellem und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche berichten. Es handelt sich hier nicht um eine rein wissenschaftliche Veröffentlichung. Die Frauen verfassten ihre Geschichten auf ihre je eigene Art und Weise, in unterschiedlichen Stilen und mit je unterschiedlichem Fokus auf den Hergang der Taten, ihren Weg der Bewältigung oder den kirchlichen Umgang mit dem Missbrauch. Dieser freie Rahmen sollte es den Frauen ermöglichen, „Subjekte ihres Lebens“ (Haslbeck/Heyder, Leimgruber, 13) zu werden. Die Herausgerberinnen beschreiben diesen Prozess des Subjektwerdens der eigenen Geschichte sehr eindrücklich: „Nun sind sie es die den Ereignissen mit ihren Worten eine Gestalt geben und Deutungen zuweisen, sie sind es, die für sich und von sich sprechen Nicht die anderen, schon gar nicht die Täter*innen. Und es geschieht ein weiteres: Indem die Geschichten nicht mehr verschämt verschwiegen oder verborgen werden, nicht mehr geflüstert, hinter vorgehaltener Hand oder im Geheimen erzählt werden, werden sie zu einer lebendigen, unverschämten Macht.“ (Haslbeck/Heyder/Leimgruber, 13)

Das Buch enthält nicht nur die Betroffenenberichte, sondern auch wissenschaftliche Essays, die einzelne Aspekte aus den Berichten genauer beleuchten. So argumentieren die Autorinnen auf Basis der Berichte, dass spiritueller und sexueller Missbrauch eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen darstellt. Diese Deutung nimmt nicht nur die Verletzung der Betroffenen ernst und stellt sie in den Mittelpunkt, sie ermöglicht auch die Anerkennung von Fällen als Missbrauch, in denen Betroffene zwar eine Zustimmung geäußert haben, diese jedoch auf einem Macht- und/oder Abhängigkeitsverhältnis beruhte. Heyder und Leimgruber postulieren, dass „ein seelsorgliches Verhältnis (Beichte, geistliche Begleitung usw.) generell ein Machtungleichgewicht enthält und dass es deshalb im seelsorglichen Kontext a priori keine einvernehmlichen sexuellen Kontakte geben kann, auch nicht unter Erwachsenen“ (Heyder/Leimgruber, 211). Erzählen als Widerstand macht zudem auf die Verflechtung von spirituellem und sexuellem Missbrauch aufmerksam: „In keinem der hier dokumentierten Fälle sexuellen Missbrauchs ist dieser nicht gleichzeitig auch spiritueller Missbrauch. Spiritueller Missbrauch ist in vielen Fällen integrativer Bestandteil der Planung und Vorbereitung der sexualisierten Gewaltausübung der Täter*innen (sog. Grooming-Strategie)“ (Haslbeck/Heyder/Leimgruber, 22). So zeichnet dieses Buch nicht nur aus, dass sich hier die Stimmen von 23 Betroffenen aus dem deutschsprachigen Raum Gehör verschaffen. Die Berichte führen auch zu wichtigen Erkenntnissen über den Missbrauch erwachsener Frauen und zeigen weiteren Forschungsbedarf auf. Darüber hinaus bietet das Buch wertvolle Hinweise zum Gespräch mit Betroffenen (vgl. Haslbeck, 255-260).